Freier Fall
Freier Fall
15. November 2024
Es ist über ein Jahr her, dass ich mich dazu entschied meine niedersächsische Heimat zu verlassen und nach München zu ziehen. Mittlerweile sitze ich in Augsburg in einem Café und schreibe diesen Eintrag. Hätte mir damals jemand erzählt, dass es so kommen würde – ich hätte ihn für verrückt erklärt. Verrückt bin in dieser ganzen Geschichte aber einzig und allein ich.
Ich ging, um den Meister zu machen. Jung, mit Träumen im Herzen und Leidenschaft für einen ganz besonderen Beruf. Ich war offen, für alles was kommen würde. Und ursprünglich dachte ich, ich würde nach Hause zurückkehren.
Ich konnte vorher ganz und gar nicht einschätzen, was so ein augenscheinlich simpler Schritt für eine Wirkmächtigkeit haben kann.
So etwas habe ich in meinem Leben noch nie zuvor erlebt.
Ich war schon immer jemand, der egal wo und was, alles aus vollem Herzen tut. Ich bin immer ganz dort zuhause, wo ich gerade lebe, ganz bei der Sache. Lasse mich auf alles ein, was dazugehört. Ich entschied mich für München und ließ mich dann von der Stadt und den Menschen dort formen.
Wenn man denkt, man besuche lediglich eine Schule und der Rest des Lebens bliebe davon vollkommen unberührt, der irrt sich.
Gewaltig.
Mein ganzes Leben ist geprägt von meinem tief verwurzelten Wunsch Zufriedenheit zu leben. In allen Ebenen meines Lebens. Und ich weiß mittlerweile, dass Veränderung einer der Schlüssel zum Glück ist. Sich gegen das Schicksal zu wehren bringt nichts. Wer in einer Sache zur Meisterschaft gelangen will, der muss ihr sein ganzes Leben widmen oder es zumindest drauf ausrichten. Ich habe gelernt in mich hinein zu fühlen und mich von meiner inneren Stimme leiten zu lassen. Indem ich ihr Gehör schenke habe ich durch meine daraus resultierenden Entschlüsse leider oft auch ganz viel Schmerz im Leben anderer Menschen verursacht. Im vergangenen Jahr habe ich nicht nur den Stress um die Meisterprüfung untergebracht, sondern auch persönlich eine wahnsinnige Welle der Gefühle verarbeitet.
Im Laufe der ersten Monate hat meine innere Stimme irgendwann angefangen, mit der Frau die ich damals zu sein glaubte, ihre Ideen, Träume und Werte zu diskutieren. Diese wahnsinnig facettenreiche Stadt, all die wunderbaren Menschen um mich herum haben mir aufgezeigt, dass da draußen was Größeres auf mich wartet.
Für einen kurzen Moment gab es die Version von mir, die nach München gekommen war und gleichzeitig eine Version von mir, die ich hier unten erst kennengelernt hatte.
Es gab einen Punkt, da konnte ich mich selbst kaum ertragen. Irgendwann war die Stimme so laut, dass ich sie nicht mehr ignorieren konnte. Mein ganzes Leben schien eine schillernde Seifenblase gewesen zu sein und die platzte jetzt. So leise und unmerklich, wie eine Seifenblase platzen kann. In mir drin hat es dagegen heftig geknallt und alles lag in Trümmern. Und die Welt um mich herum war davon gänzlich unberührt, drehte sich weiter. Also machte ich auch weiter. Und zwar als die Frau, die ich hier unten kennengelernt hatte. Wenn meine Stimme mich schon so beeinflussen kann, dann sollte ich vielleicht weiter auf sie hören und ganz meinem Herzen folgen. Mit dem Tag der Entscheidung fand ich langsam meinen Weg aus dem ganzen Chaos. Ich habe mich gehäutet, wie eine Schlange. Etwas in mir wurde umgeschichtet. Und ich bin verdammt glücklich damit.
2023.
Das Vorher. Ich bin Junggesellin, knapp ein Jahr ausgelernt. Ich habe die Prüfung bestanden und nun erprobe ich meine Fähigkeiten in einer neuen Werkstatt. Einer anderen Werkstatt als die, in der ich sozusagen groß geworden bin. Im Hinterkopf die ganze Zeit den Gedanken, irgendwann die Meisterschule in München zu besuchen. Eine Idee die mir schon in der Ausbildung ins Hirn verpflanzt wurde. Ich frage mich, wann die Zeit gekommen ist, diesen Samen zum Keimen zu bringen. Ab wann ist man bereit, den Meister zu machen? Woran wird bemessen, ob die Arbeit, die man leistet, meisterlich ist? Was für einen Wert hat der Meister heute noch, insbesondere im Verhältnis zu dem ganzen Geld und der Zeit die man dort reinsteckt?
Ich bin nicht die Einzige, die sich diese Fragen im Vorhinein nicht beantworten konnte. Viele stehen vor der Entscheidung oder haben sie bereits getroffen und erwarten oder erträumen, von Zweifeln und Ängsten geplagt, den ersten Schultag. So ein Schritt ist teuer. Wenn man die Prüfung nicht packt, weil man sich vielleicht selbst falsch eingeschätzt hat, dann kostet das einem im schlimmsten Fall nicht nur Zeit und Geld. Es nagt an einem und man stellt womöglich seinen gesamten Werdegang infrage. Man selbst ist nicht gut genug und man sieht die ganzen Menschen um sich, die unglaublich gut sind. Womöglich knickt man ein und ist gezwungen sich neu zu erfinden.
2024.
Was bedeutet Meisterlichkeit jetzt für mich. Von einem Standpunkt aus betrachtet, der mich zurückblicken lässt?
Meisterlichkeit hat nichts damit zu tun, keine Fehler zu machen. Auch nicht damit besonders schnell zu sein. Der Meistertitel ist leider auch kein Garant für Qualität. Für mich bedeutet Meisterin zu sein, Handwerk verstanden zu haben. Erkannt zu haben, dass man nicht alles wissen kann, aber die feste Entschlossenheit dazuzulernen an den Tag legt. Probleme lösen will. Verantwortung übernimmt.
Die Meisterschule formt weniger die Hände und mehr die Persönlichkeit.
Anfertigen sollte man können und mein eines Jahr als Gesellin hat mir dahingehend nochmal richtig Auftrieb verschafft. Man lernt vorallem, verinnerlicht, wenn man bereit und entsprechend offen dafür ist, sich auf sich selbst zu verlassen – sich selbst zu vertrauen in dem, was man tut. Besonders am Anfang der Schule habe ich es an den simpelsten Beispielen gemerkt: Man ist nicht mehr der Auszubildende. Man wird darauf vorbereitet, der Ausbilder zu sein. Chef zu sein. Vom Schüler zum Lehrer. Metamorphose, für jene von euch die ein Bild wollen.
Man kommt als Gesellenraupe, verpuppt sich, verflüssigt sich und ordnet die Substanz neu. Und dann schlüpft man und spreizt seine Flügelchen.
Manche Menschen erleben diese Metamorphose vielleicht auch ohne diesen bestimmten Schritt zu tun, werten die ganze Sache anders. Und manche, mich eingeschlossen, brauchen das Außen, um im Inneren vorwärtszukommen.
Eigentlich ganz einfach. Das Bild der sich verflüssigenden, neu zu ordnenden Substanz zeichnet meinen Werdegang ganz gut. Ich habe mich verändert. Ich bin auch handwerklich ein gutes Stück besser geworden und bin an allen Aufgaben gewachsen. Zum Ende des Jahres habe ich immer gern gesagt, dass man doch auf mich schießen soll, ich fühlte mich kugelsicher. Und diese Kugelsicherheit entsteht im Austausch. Ob nun mit den Mitschülern, den Lehrern, der Prüfungskommission oder anderen Unternehmen. Ich habe gelernt, dass diese Weste, die ich nun besitze sich aus der Gewissheit zusammensetzt, nicht allein zu sein. Teamwork truly makes the dream work. Dieses Umfeld muss man sich erstmal aufbauen. Gleichzeitig bedeutet es auch, damit umzugehen Kontrolle abzugeben und sich auf andere verlassen zu müssen.
Für mich war der Schritt in den Süden auch einer hin zum Schmuck. Ich habe zu wenig gesehen um das zu werten, ich beschreibe hier lediglich mein Bauchgefühl. Ich liebe und lese zum Beispiel schon immer gern die Art Aurea, und all die dort vorgestellten Künstler*innen kamen gefühlt immer irgendwo her anders als da, wo ich herkam. Wenn ich an die Kleinstadt zurückdenke, die fast mein langfristiger Lebensmittelpunkt geworden wäre, sehe ich dort ganz einfach eine Umgebung, die mit dem, was ich zu werden träume nicht in Einklang zu bringen gewesen wäre. Meine Bubble ist für mich hier unten. Hier habe ich einen Platz gefunden, zu leben und zu arbeiten. Umgeben voll von Inspiration habe ich nun in Augsburg mein Zuhause. Hier existiert ein Netzwerk, wo die ganze Zeit noch eine Lücke für mich frei war. Mein Auge erfasst dort unglaublich viel: Dinge, Menschen, Wortfetzen, Gerüche, die mich unterbewusst inspirieren. Ich spüre es im Wind und sehe es in dem Nachthimmel. Es ist im Knartschen des Schotters unter meinen Schuhsolen und in der Libelle die leicht auf meiner Hand vibriert. Dem ersten Schnee im Gegenlicht der Straßenlaterne und dem Rauch der zum Nebel aufsteigt. In den Menschen, die mir begegnen. Ich war scheinbar immer auf der Suche, ich werde es ganz bestimmt auch immer wieder sein, aber für den Moment kann ich sagen, dass ich erstmal angekommen bin.
Ich bin angekommen, indem ich gegangen bin. Ich wäre nie angekommen, wenn ich nicht gegangen wäre und wer weiß, ob ich angekommen wäre, wenn ich dorthin gegangen wäre wozu andere mir geraten hätten?
Ich sage seit Jahren, dass ich ganz am Anfang bin. Umgeben von all den großen Künstlern und talentierten Handwerkern zu denen ich aufsehe, fühle ich mich manchmal klein und unbedeutend. Indem ich weiterhin unbekannte Orte aufsuche und mich neuen Begegnungen stelle, mich der Welt öffne und da rausgehe, erlaube ich mir zu wachsen. Erst auf der Schule habe ich Menschen getroffen, die einerseits grundlegend anders sind als ich, andererseits haben wir Dinge gemein, die uns auf eine Weise verbindet, die ganz anders ist als die Beziehungen, die man zum Beispiel damals in der allgemeinbildenden Schule geknüpft hat. Nur durch die Meisterschule bekam ich die Chance, mich mit Menschen zu umgeben, die ähnlich ticken wie ich und diese gewisse Vergleichbarkeit miteinander nutze ich und nutzen wir, um den eigenen Weg zu suchen. Sich zu trauen. Oh Kinder! Man muss ja sagen. Viel öfter ja sagen!
Man bekommt Gelegenheiten! Wenn man die Augen aufhält eröffnen sich einem ganz neue Möglichkeiten, wenn man nur ja dazu sagt. Als würde man zufällig ein Buch finden. Indem man ja dazu sagt, es aufschlägt und liest, entfaltet sich eine neue Welt. Zum Beispiel konnte ich einen Job bei einem Steinhändler machen. Ich Arbeitete für ihn auf einer Messe, ohne jegliche Erfahrung im Steinbusiness. Und indem ich dieses Buch aufschlug, lernte ich nicht nur wie das läuft, sondern wer die Menschen hinter den Ständen sind, ihre Geschichte und war ganz kurz Teil eines neuen Netzwerks. Ich lernte unglaublich viele Schmuckschaffende kennen, wir tauschten uns aus. Ich bin einige Visitenkarten losgeworden. Indem zu der einen Sache ja sagte, kamen noch mehr Möglichkeiten. Ich konnte neue Aufträge für meine Selbstständigkeit an Land ziehen und habe für die kommende Inhorgenta ein weiteres Angebot für einen vergleichbaren Job bekommen. Einfach indem ich da war.
Ich habe keine Angst mehr. Zu wissen, dass man nicht alles wissen kann und muss und sich zugleich bewusst darüber zu sein, dass man in der Lage ist, alles erlernen zu können, nimmt einem die Angst. Nimmt einem den Nebel, der so oft gute Ideen bereits im Keim erstickt, bevor man sie umsetzen konnte.
Im Grunde interessiert sich niemand für das was du tust. Also kannst du machen was du willst.
Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht. Man muss aufpassen! Wer sich genug bewegt, der schmeißt irgendwann genau den Dominostein um, der eine unaufhaltbare Kettenreaktion in Gang bringt.
Die Meisterschule ist Freiheit. Deine Gelegenheit für ein Jahr raus aus allem was war. Und es ist das größte Geschenk am Ende des Jahres frei entscheiden zu können, ob man den Weg zurück geht und dort weitermacht, wo man aufgehört hat, oder ob man den Sprungturm hochkraxelt und springt. Ohne zu wissen ob man unten aufklatscht und K. O. ist oder in einem Bett aus goldener Watte landet.
Egal was dein Warum ist, was dein Weg ist. Lass dich nicht von anderen bequatschen. Es gibt kein Richtig und kein Falsch, kein zu Früh oder zu Spät. Es ist eine Entscheidung, die ganz allein nur du treffen kannst und ich bin mir sicher, dass du tief in dir drinnen weißt, was du tun solltest. Sei dir nur bewusst, dass es ein beinharter Kampf wird. Dass du jeden Tag erneut aufstehen und weiter da durchmusst. Und das ist das Leben meine Freunde. Und das Leben ist eines der schönsten.
Freier Fall.
Mehr habe ich zum Thema Meisterschule nicht zu sagen. Dennoch kannst du mich gern alles Fragen! Ich kann dir Wohnheimlisten für München empfehlen und vielleicht Fragen zur Vorbereitung beantworten. Auch aus dem Nähkästchen plaudern, aber der Blog sagt das meiste schon.
Ich hoffe ich konnte dir helfen, dich inspirieren und ermutigen!
Danke, dass du dabei warst.